Experten sehen frugale Innovationen auf dem Vormarsch

Erkenntnisse aus dem ersten gemeinsamen Workshop vom Fraunhofer-Zentrum Leipzig und der TU Hamburg

Am 12. Januar 2016 trafen sich rund 30 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, um die Relevanz frugaler Innovationen für deutsche Unternehmen zu analysieren und zu diskutieren. Als „frugale Innovationen“ werden auf Kernfunktionen fokussierte, robuste, benutzerfreundliche und bezahlbare (Technologie-)Lösungen bezeichnet. Dieses Phänomen wurde bislang vornehmlich in Schwellenländern beobachtet. Für Industrienationen wie Deutschland könnte das frugale Innovationsmodel jedoch im Rahmen des internationalen Wettbewerbs große Potenziale bergen. Ebenso wird erwartet, dass die Bedeutung frugaler Innovationen im Hinblick auf den Binnenmarkt zunimmt.

Workshop-Teilnehmer im Gästehaus der Universität Hamburg (Bild: Kühl/TUHH)

Workshop-Teilnehmer im Gästehaus der Universität Hamburg (Bild: Kühl/TUHH)

Die Veranstaltung fand im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes „Potenziale, Herausforderungen und gesellschaftliche Relevanz frugaler Innovationen im Kontext des globalen Innovationswettbewerbs“ statt, einer Kooperation des Leipziger Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie und des Instituts für Technologie- und Innovationsmanagement der Technischen Universität Hamburg (TIM-TUHH). Nach einem Grußwort von Prof. Dr. Cornelius Herstatt (TIM-TUHH) stellte JProf. Dr. Tobias Dauth (Fraunhofer-Zentrum) das Projekt vor und machte die Teilnehmer mit den Workshop-Zielsetzungen vertraut. Anschließend wurden erste Arbeitsergebnisse der Projektpartner präsentiert. Dr. Luise Fischer (Fraunhofer-Zentrum) stellte eine Analyse des medialen und sozialen Diskurses aus historischer Perspektive vor. Dr. Rajnish Tiwari ordnete den Begriff „frugale Innovation“ wissenschaftlich ein.

Projektteam mit Referenten (Bild: Kühl/TUHH)

Projektteam mit Referenten (Bild: Kühl/TUHH)

Im Anschluss präsentierten drei externe Experten ihre auf persönlichen Erfahrungen basierende Einschätzung der Relevanz frugaler Innovationen für Deutschland. Bernd Mützelburg, ehemaliger deutscher Botschafter in Indien, berichtete aus seiner langen Diplomatenkarriere, wie deutsche Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt waren, weil ihre Produkte zwar technisch hochwertig aber als unbezahlbar galten. Zudem mangelte es aus der lokalen Anwendersicht oft an einfachen Wartungs- und Reparaturarbeiten. Mützelburg sieht die Fähigkeit zur frugalen Innovation als Schlüsselfrage der langfristigen Überlebensfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland, wo die demographische Entwicklung den Bedarf an „einfachen“ Lösungen steigern lasse.

Der Geschäftsführer der Deutsch-Indischen Außenhandelskammer Dirk Matter berichtete von Erfahrungen deutscher Unternehmen in Indien und sagte insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand, dass dieser bisher nicht systematisch genug das Potenzial des indischen Marktes erschließen würde. Wegen ungenügender Produktanpassung für den indischen Markt wird Unternehmen aus anderen aufstrebenden Ländern wie China das Feld überlassen, wodurch eine große Bedrohung für die deutsche Exportwirtschaft entstehe.

Der Unternehmer, Ingenieur und Innovationsberater Wolfgang Hoeltgen hält einen Paradigmen-Wechsel in den Köpfen deutscher Ingenieure für erforderlich, um erfolgreich frugale Innovationen entwickeln zu können und wünscht sich einen Leitfaden zur Entwicklung frugaler Innovationen für Ingenieure, damit Deutschland auf diesem wichtigen Gebiet nicht den Anschluss verliert.

Im weiteren Verlauf des Workshops diskutierten die Teilnehmer in drei Fokusgruppen:

  • die Relevanz frugaler Innovationen für deutsche Unternehmen im Inland,
  • die Relevanz frugaler Innovationen für deutsche Unternehmen im globalen Kontext, sowie
  • gesellschaftspolitische Implikationen frugaler Innovationen für Deutschland.

Potenziale frugaler InnovationenDie Zielsetzung der Fokusgruppen war es zu eruieren, ob frugale Innovationen künftig eine wichtige Rolle in Deutschland bzw. für deutsche Unternehmen im Allgemeinen spielen könnten. Die Teilnehmer des Workshops waren sich in der Diskussion einig, dass frugale Innovationen keine kurzlebige Modeerscheinung sind, sondern als längerfristig bedeutende Entwicklung ernst genommen werden müssten. Es stellt sich die Frage, wie die Stärken Deutschlands gezielt genutzt werden können, um an diesem als wichtig eingeschätzten Trend zur frugalen Innovation teilhaben zu können. Dabei wurden im Rahmen der Diskussionen nicht nur die Entwicklung frugaler Produkte, sondern auch die Entwicklung frugaler Dienstleistungen und die Einbettung insbesondere in ingenieurwissenschaftliche Studienpläne thematisiert.

Insgesamt wurde die Diskussion über die Relevanz frugaler Innovationen für Deutschland sowie deren Auswirkungen auf deutsche Unternehmen und die deutsche Gesellschaft von allen Teilnehmern des Workshops mit großem Interesse aktiv verfolgt. Eine tiefergehende Analyse dieses Themas, wie sie im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes geplant ist, wird somit von Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ausdrücklich gewünscht. Das Forschungsprojekt läuft noch bis Juli 2017 und beinhaltet in den folgenden Arbeitspaketen eine vergleichende Analyse von häufig eingeschlagenen Innovationspfaden in der Automobilzulieferindustrie in Indien und Deutschland. Als nächste Projektveranstaltung wird ein wissenschaftliches Symposium am 24. Juni in Leipzig an der HHL Leipzig Graduate School of Management ausgerichtet.

Alle Redebeiträge von diesem Workshop können auf YouTube unter folgender Adresse angesehen werden:

Die Ergebnisse dieses Workshops sowie die ersten Ergebnisse aus AP1 sind mittelweile in der Form eines Arbeitspapiers mit dem Titel “Frugal Innovation in Scholarly and Social Discourse: An Assessment of Trends and Potential Societal Implications” veröffentlicht und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das Arbeitspapier kann von der Projektwebseite heruntergeladen werden:

http://frugale-innovation-ita.de/

Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an:

(Leipzig/Hamburg, 28. April 2016):

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